Mal was ganz anderes

Monatskolumne "Quergedanken" Nr. 194

Neulich im Wald. Es war ein bisschen düster unterm tropfenden Blätterdach, der Himmel darüber von tristem Wolkengrau verhangen. Der letzte Regenguss lag noch nicht lange zurück. Eben typisches 2021er Sommerwetter hierzulande (sieht man von den verheerenden Sturzfluten mancherorts mal ab). So ein Normalgrauwetter stört einen nicht sonderlich, wenn man auf der Pirsch ist. Bewaffnet mit Taschenmesser und Körbchen zielte mein behutsames Herumschleichen zwischen Buchen, Eichen und Co. nebst allerhand Untergestrüpp jedoch nicht aufs Wildbret, sondern auf Pilze.

Nach drei diesbezüglich ziemlich mageren, hitzigen Dürresommern gedeihen die Schwammerln an meinen Geheimplätzen im seit 40 Jahren eifrig erschlossenen Hauswald heuer zu Hauf. Jetzt, Mitte August, haben dort schon Pfifferlinge Hochkonjunktur. Und endlich besteht mal wieder die Aussicht, auch einen kleinen Vorrat Trockenpilze anzulegen. An besagtem Tag neigte sich mein Sammelstreifzug nach vier Stunden bereits dem Ende zu, denn das Körbchen war fast voll. Da signalisierte mir der Körper das Bedürfnis, ein Bäuerchen zu machen. Will sagen: Ein Rülpser bahnte sich seinen Weg nach oben.

Normalerweise verdrückt sich der Anstandsmensch heutzutage in Gesellschaft ja eine Befolgung der Wohlseins-Aufforderung, die mit der Luther zugesprochenen Frage verbunden ist: „Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket?“ Aber ich hier in des Waldes Einsamkeit, kein anderer Mensch weit und breit, musste mich den gesitteten Zwängen gewiss nicht unterwerfen. Also ließ ich dem luftigen Leibesdrängen ruhigen Gewissens schamlos freien Lauf.

Allerdings entfleuchte dem Mund nun kein zartes Bäuerchen. Vielmehr brach mit Macht ein grobschlächtiger Großbauer aus dem Maul – so lautstark röhrend, dass augenblicklich der Vögel Gezwitscher verstummte und wohl auch sonstiges Getier in Deckung ging. Richtig peinlich indes wurde es, als von jenseits des Buschwerks, durch das ich mich gerade schlug, sogleich erschreckte Stimmen ausriefen: „Herrgott, ein Wildschwein!“, „Nein, ein Hirsch!“. Da waren sich offenbar der Pilzesucher und einige Wandersleut’ gegenseitig unbemerkt und ungesehen im falschen Moment recht nahe gekommen. Zwecks Beruhigung der Situation gab ich aus dem Gebüsch heraus eilends Laut: „Ähm, weder noch. Nur ein Mensch mit zu viel Luft im Bauch.“ Nach entspannendem Gelächter allerseits gingen beide Parteien vergnügt ihrer Wege.

Freund Walter schüttelt gereizt den Kopf: „Warum erzählst du hier so eine harmlose Schmonzette? Gerade jetzt, da es überall drunter und drüber geht, da zahllose Menschen leiden oder in Gefahr sind, da kaum ein alte Gewissheit noch Bestand hat und die Menschheitsentwicklung sich wahrscheinlich am wichtigsten aller bisherigen Wendepunkt befindet. Corona, Sturzfluten, Rekordhitze und Feuersbrünste, die Afghanistan-Tragödie etc. und überall Führungskräfte wie auch viel einfaches Volk, die mit Großkrisen kaum noch umgehen können.“

Tja, warum erzähle ich ausgerechnet in solcher Lage ein nettes Anekdötchen? Einfach so. Weil es mir Freude macht. Und weil ich hoffe, den Lesenden damit kurz ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Was viel wert sein kann dieser Tage – in denen wohl ein jeder irgendwann an den Punkt kommt, für einen Moment die Nachrichten aus der nahen und fernen Welt nicht mehr ertragen zu können, die allesamt zum Heulen oder zum Ausderhautfahren sind.         

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