Wie war's, wie ist's, was wird?

Im Gespräch mit Günter Müller-Rogalla, Intendant des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie Koblenz

ape. Koblenz. Er bleibt. Weitere fünf Jahre. Günter Müller-Rogalla, Intendant des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie in Koblenz. Im Juni 2018 war vermeldet worden, er und das Land Rheinland-Pfalz haben sich auf eine Verlängerung seines Vertrages bis ins Jahr 2024 geeinigt. Dann wäre der gebürtige Idar-Obersteiner 62 Jahre alt und hätte in zehn dieser Lebensjahre die Geschicke des Orchesters in Koblenz an maßgeblicher Stelle mitgeprägt. Vier sind bereits vorüber, als wir uns unlängst, kurz vor Start der Spielzeit 2018/19, im Görreshaus zum Gespräch trafen über „Wie war‘s, wie ist‘s, was wird?“.

Zur Erinnerung. Alle vier Spielzeiten, die Müller-Rogalla jetzt als Orchesterintendant am Rhein-Mosel-Eck hinter sich hat, waren nicht eben das, was man Alltagsgeschäft nennt: Seine eigene Eingewöhnungszeit als Neuling in Koblenz 2014/15, die unmittelbar verbunden war mit der Suche nach einem neuen Chefdirigenten; Ausklang der Ära Daniel Raiskin 2015/16; Ausnahmesaison ohne Chefdirigent 2016/17, die der neue Intendant zum großen Teil fast im Alleingang planen musste; Einführungsjahr des neuen Chefdirigenten Garry Walker 2017/18. Damals, 2014, bei Abschluss seines Erstvertrages für die Koblenzer Führungsposition, war von einem Personalwechsel am Chefpult noch keine Rede gewesen. Allerdings hatte der von der Thüringen Philharmonie Gotha kommende erfahrene Orchestermanager schon seinerzeit geahnt, dass ihm in Koblenz eher früher als später ein Dirigentenwechsel ins Haus stehen würde: Die Ankündigung, dass Raiskin geht, sei „unerwartet gekommen“, sagte er mir in jenem Jahr bei einem Interview, „aber nicht so furchtbar überraschend. Wenn gute Dirigenten mal zehn Jahre an einem Ort sind, muss man damit rechnen, dass sie absehbar weiterziehen.“

Auch beim jetzigen Rückblick auf jene eben erst vergangene Zeit des Wechsels, des Übergangs, der Neuerung entspricht die gutmütige Gelassenheit, die Müller-Rogalla ausstrahlt, so gar nicht den Vorstellungen des Außenstehenden. Mit Schwierigkeiten, Turbulenzen, Reibereien hinter den Kulissen hätte man eher gerechnet, gerade für die Zwischensaison 2016/17 ohne eigenen Chefdirigenten. Aber wie der Intendant, so sprechen auch Musiker und Verwaltung von einem zwar sehr anstrengenden, aber ebenso spannenden, lehrreichen, inspirierenden Konzertjahr mit all den wechselnden Gastdirigenten. Und: Als Konzertbesucher empfindet man das ganz ähnlich. Ich erinnere mich gut einiger Begegnungen mit dem Intendanten vor Konzerten oder in der Pause, wo er mit einem Mix aus Ruhe, gespannter Neugier und Zuversicht dem Zusammenwirken „seines“ Orchesters mit immer wieder anderen Stabführern entgegensah.

Müller-Rogalla führt als einen der wesentlichen Gründe dafür an: „Unser Orchester zeichnet sich durch große Spielfreude aus und hat aus Raiskins Zeit einen sehr guten Entwicklungsstand mitgebracht, den Garry Walker nun auf eigene Art fortentwickeln wird. Dieser Klangkörper kann – und will – auch unter ungewöhnlichen Bedingungen verlässlich Leistungen auf hohem bis sehr hohem Niveau abrufen.“ Daraus leitet Müller-Rogalla, mit Blick auf die Zwischenspielzeit schon ohne Raiskin und noch nicht mit Walker, einen interessanten Aspekt ab, den sich auch die Musiker stets gewünscht hätten: „Das Orchester wurde da in der Öffentlichkeit stärker als Qualitätsmarke per se wahrgenommen, unabhängig davon, wer gerade den Dirigentenstab führt. Jeder Musikfreund, ob hier in Koblenz, an anderen Spielorten in Rheinland-Pfalz oder national und international, kann sich darauf verlassen: Wo Rheinische Philharmonie draufsteht, steckt ausgezeichnete Musik drin.“ Und noch eines kommt hinzu: „Ich fahre auch in meiner jetzt beginnenden fünften Spielzeit jeden Tag gern von meinem Wohnort Höhr-Grenzhausen hierher zur Arbeit im Görreshaus; und ich hoffe und glaube, dass es den meisten Kollegen sehr oft genauso geht.“ Dann spricht er von der angenehmen Atmosphäre im Haus, vom guten, kollegialen, freundlichen, produktiven Umgang der Musiker und Verwaltungsangestellten gleichermaßen miteinander. „Es macht einfach Spaß, hier und mit solchen Leuten zu arbeiten.“

Ist das nur das übliche nette Gerede jeder Leitungsperson allüberall pro domo? Könnte man meinen, würde man im Konzertsaal nicht bestätigt finden, was er sagt; würden nicht Stipendiaten, Praktikanten, neue Orchestermitglieder und Gäste sich regelmäßig ganz ähnlich äußern. Und mein eigener Eindruck? Entspricht dem. Müller-Rogalla ist nicht einfach ein Manager, er ist ein Überzeugungstäter mit Sendungsbewusstsein in Sachen Musik; das aber nie mit verbissenem Purismus. Jedes längere Gespräch mit ihm gerät unweigerlich auch in jene gründsätzlichen Gefilde, aus denen der gelernte Orchestermusiker mit dem Instrument Klarinette – der nachher als Musikschulleiter aufs pädagogische Feld der Musikvermittlung wechselte, um schließlich im Musikmanagment zu landen – seine Motivation und Haltung zieht: Philosophieren darüber, wie existenziell Musik für Menschen wie Gesellschaft ist und welches Wunder die Orchesterkunst darstellt.

Der Mann ist meist gut gelaunt, kann aber zum rechten Zeitpunkt schlagartig sehr ernst und/oder durchsetzungswillig werden, ohne freilich je überlaut zu zetern. Einen offenherzigen Gemütsmenschen möchte man ihn nennen, der zugleich leiblich wie kulturell und intellektuell Genussmensch ist. Dazu passt Müller-Rogallas Überzeugung, wonach keine noch so hoch entwickelte elektronische Musikkonserve je das Erlebnis der unmittelbaren Begegnung zwischen Musiker und Hörer beim Live-Konzert ersetzen kann. Dazu passt seine offenbar nie versiegende Faszination angesichts des „Wunders, dass wir im Konzert lebendig werden lassen, was Komponisten oft vor Jahrhunderten vor ihrem inneren Ohr, also in ihren Herzen und Köpfen hörten.“

Für dieses Wunder trägt nun Garry Walker seit Herbst 2017 als neuer Chefdirigent der Rheinischen maßgebliche Verantwortung. Musiker, Publikum, Kritiker hatten ein Jahr gespannt auf ihn gewartet – durften dann in dessen erster Saison ihre durchaus hochgesteckten Erwartungen aufs Erfreulichste erfüllt hören. Sie erlebten den Schotten als einen Orchesterleiter mit feinstem Gespür für die Feinheiten der einzustudierenden Werke. Sie erlebten ihn als einen, der ebenso kundig wie immer wieder neugierig selbst die bekanntesten Kompositionen zum Staunen machenden Erlebnis werden ließ; der das Filigranspiel dieses Orchesters und das Zusammenfließen der diversen Instrumentengruppen zum dennoch durchhörbaren Gesamtklang noch einmal um eine Qualitätsstufe anheben kann. Da kommt Müller-Rogalla ins Schwärmen und macht keinen Hehl daraus, dass er sich im Tandem mit Walker ausgesprochen wohl fühlt. Und wer die beiden schon mal im Arbeitsgespräch miteinander beobachten durfte, weiß, wie sich da ganz schnell kreative Energien im Raum bündeln, Programmideen hin und her flitzen, Besetzungsvorstellungen aufblitzen, Konzepte erscheinen, verworfen werden, neu entstehen. „Walker hat sich als Glücksfall für das Orchester erwiesen“, meint der Intendant. Und man mag nicht widersprechen.    
          
Das Orchester war am Vorabend unseres Gesprächs gerade von einem Gastauftritt im berühmten Concertgebouw zu Amsterdam zurückgekehrt. Mit funkelnden Augen erzählt der Intendant, dass das dortige Publikum von den Sitzen aufgesprungen sei zum stürmischen Schlussapplaus; dass Konzertbesucher begeistert gesprochen hätten vom bemerkenswerten, spürbaren Enthusiasmus der Koblenzer Musiker für ihr Spiel und von der daraus erwachsenen Dynamik und Beseeltheit ihres Konzerts unter Walkers Dirigat. Gleich kommt dann neben dem Musikliebhaber und -kenner bei Müller-Rogalla der strategisch denken und rechnen müssende Orchestermanager zum Vorschein. Nicht nur wären die Chancen nun groß, alsbald von den Amsterdamern erneut ins Programm genommen zu werden. Derartige Erfolge auf dem überregionalen, ja internationalen Parkett lassen andere Konzerthäuser aufmerken, steigern das Renommee des Orchesters aus Koblenz als rheinland-pfälzischer Kulturbotschafter von Rang – und erhöhen obendrein draußen auf dem überregionalen Markt den Wert für dessen Engagement.

Letzteres sei bedeutsam für die finanzielle Mischkalkulation, die nötig ist, damit die Rheinische Philharmonie ihre Pflichten im eigenen Bundesland optimal erfüllen kann. Dazu gehört eben auch die Bespielung anderer und kleinerer Städte in Rheinland-Pfalz, insbesondere im Norden des Landes, zu einem dort leistbaren Preis. Wenn man so will, werden die heimischen Konzerte durch Auftritte auf nationaler und internationaler Ebene quersubventioniert. Garry Walker mag das Prinzip der Bespielung auch „des flachen Landes“ durch das Orchester aus der großen Stadt sehr. In Großbritannien sei das leider ganz ungebräuchlich, sagte er mir einmal. Für Müller-Rogalla war das regionale Engagement von vornherein ein wichtiges Anliegen. Um das er sich auch eifrig kümmert – letztlich auch, um stärker ins öffentliche Bewusstsein zu heben, dass die Rheinische Philharmonie trotz ihrer engen Verbundenheit mit der Stadt Koblenz ein Staatsorchester des Landes ist. Ergebnis seines Bemühens: In den letzten Jahren konnten etliche vordem eingeschlafene Konzertkontakte in der Region reaktiviert und intensiviert werden, manch neuer ist hinzugekommen und wird noch hinzukommen.

So gibt es etwa in Mayen quasi eine eigene Reihe mit mittlerweile vier Konzerten, stehen Boppard und die Burg Namedy in Andernach je zweimal auf dem Gastspielplan, Montabaur erneut seit langer Zeit, Idar-Oberstein wieder und demnächst vielleicht doppelt, mit Linz am Rhein wird derzeit gesprochen. Simmern im Hunsrück, Bad Ems und Neuwied sind ebenso dabei wie einmal Neustadt an der Weinstraße, zweimal Mainz, dreimal Ludwigshafen. Und gewiss wird niemand traurig darüber sein, dass man auch in den Nachbarbundesländern die Rheinische Philharmonie gerne zu Gast hat: 2018/19 stehen fünf Abstecher nach NRW und Baden-Württemberg auf dem Plan. „Das Schöne daran“, so der Intendant: „Wir kommen allmählich immer öfter dahin, einzelne Konzertprogramme mehrfach aufführen zu können.“ Das hat natürlich den praktischen Synergieeffekt, dass Probenzeit gespart wird und Solisten für ein ganzes Konzertpaket engagiert werden können. Zugleich ergibt sich daraus aber auch ein interessanter künstlerischer Aspekt: Die wiederholte Aufführung unter veränderten Bedingungen ermöglicht ein noch tieferes Eindringen in die Werke.

Zu den Verhandlungen über seine Vertragsverlängerung unlängst in Mainz hatte Müller-Rogalla auch einige Anliegen mitgenommen, die schon seit einer Weile auf seiner Wunschliste ganz oben stehen. Zuvörderst die Verbesserung der finanziellen und personellen Ausstattung des Koblenzer Staatsorchesters. Und siehe, es hat sich was bewegt. Endlich werden die Bratschen voraussichtlich um eine Musikerstelle verstärkt. Eine zusätzliche Position erhält dann auch die Verwaltung: „Wir werden einen Profi für die Öffentlichkeitsarbeit einstellen. Ohne das geht es heutzutage im Kulturbetrieb nicht mehr“, erläutert der Intendant. Daneben seien generell die finanziellen Spielräume etwas erweitert worden. „Wir haben schon einige neue Instrumente angeschafft; können uns jetzt die Rhein-Mosel-Halle für dortige Proben bereits am Vortag der Musik-Instituts-Konzerte leisten; auch für den Einsatz von Orchesterpraktikanten gibt es mehr Luft.“

Und: Der lange gehegte Plan für einen neuen Konzertflügel im Görreshaus könnte nun bald in die Schlussreife eintreten. „Das verbessert ungemein die Möglichkeiten, das angepeilte eigenständige Profil unserer Konzerte im Görreshaus mit Werken der Gegenwart oder klassischen Raritäten oder bekannten Werken in ungewöhnlicher Besetzung auf hohem Niveau zu schärfen.“ Durchaus mit Stolz weist der Intendant auf die Absicht hin, fortan in möglichst regelmäßigen Abständen selbst zeitgenössische Kompositionen in Auftrag zu geben und im Görreshaus uraufzuführen. Den Anfang macht 2019 ein Trompetenkonzert von Wilfried Maria Danner.

Günter Müller-Rogalla ist glücklich über das bisher Erreichte. Weshalb er die Frage „Was wird?“ auch kurz, bündig und überzeugt beantwortet: „Ich finde, wir sind auf einem guten Weg. Und den gehen wir nun einfach weiter. Gerne so lange wie möglich zusammen mit Garry Walker.“                  

Andreas Pecht

Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Medium außerhalb dieser website 39. Woche im September 2018

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