Zum 40. Mal: das Jazzfestival Neuwied

Eines der ältesten Jazz-Meetings in Deutschland feiert frisch und lebendig Jubiläum

ape. „Nie! Nie hätte ich damals gedacht, dass unser Projekt Jahrzehnte überdauern würde.“ Werner Oberender wirkt noch immer schier fassungslos angesichts des Umstandes, dass das alljährliche Jazzfestival Neuwied jetzt am 3. und 4 . November bereits zum 40. Mal über die Bühne geht. Der Mitbegründer, Spiritus rector und künstlerische Leiter des Festivals ist heute 61 Jahre alt. „Damals“ war er ein junger Bursche von Anfang 20, und zusammen mit einigen Neuwieder Kumpels angefixt von der Idee, in der Deichstadt etwas Jazziges auf die Beine zu stellen.

Aus der Clique ging der Verein „Jazz in Neuwied“ hervor, der bis heute Träger des Festivals ist. Dessen Geburtstermin war der 9. September 1978 und das Baby ein eintägiges Musikhappening unter freiem Himmel auf der Wiedinsel Niederbieber. Die Vorliebe für den Jazz war seinerzeit zwar noch etwas weiter verbreitet als heute, aber eine Massenbewegung konnte man das, zumal in Neuwied und drumherum, nicht gerade nennen. Weshalb die jungen und in Sachen Festival völlig unbedarften Veranstalter in jenem Frühherbst völlig von den Socken waren, als 500 Besucher auf das Gelände strömten.

Wie schon vor zehn Jahren vor dem 30. Festivalgeburtstag sitze ich mit Oberender wieder in einem kleinen Wirtshaus beisammen. Ältere und uralte Erinnerungen sind aufzufrischen; ebenso wollen wir  plaudern, wie es jüngst läuft. Die Brücke vom diesjährigen Jazzfestival zu Anfängen und früheren Jahren schlagen die engagierten Künstler teils selbst. Vorneweg Jasper van‘t Hof – der ein bisschen mitverantwortlich ist, dass das Festival überhaupt in die Gänge kam. Denn die Jazzfreunde vom Rhein hatten 1977 bei einem Konzertbesuch im Sauerland den damals bereits recht bekannten niederländischen Jazz-Pianisten einfach gefragt: „Willst du nicht mal bei uns in Neuwied auftreten?“ Dessen ebenso einfache Antwort „Klar, mach ich“ war für die jungen Leute die rechte Ermunterung zur rechten Zeit, ihr Projekt Jazzfestival mutig in Angriff zu nehmen.

Van‘t Hof machte dann 1978 im Duo mit Charlie Mariano den Headliner. Beide kamen über die Folgejahre mehrfach zum Festival, das nachher erst in die Sporthalle Engers, 1993 dann ins Heimathaus (Stadthalle) Neuwied umzog, wo es bis heute stattfindet. Die beiden gaben hier vor zehn Jahren ihr letztes gemeinsames Konzert vor dem Tod Marianos 2009. Beim 40. Festival ist der unlängst 70 gewordene Jasper van‘t Hof der Opener – und wird am 3. November gewiss wieder mit Freude davon sprechen, wie sehr er hier die Nähe zum Publikum und die fast familiäre Atmosphäre seit seinem ersten Auftritt genießt. Auf ihn folgt die Markus Stockhausen Group. Der inzwischen auch schon 60-jährige Trompeter Stockhausen (Sohn des berühmten Komponisten Neuer Musik Karlheinz Stockhausen) gehört ebenfalls zum Urgestein des Neuwieder Jazz-Meetings. Oberender muss noch immer schmunzeln, wenn er sich an dessen ersten Auftritt 1981 erinnert: „Er kam auf den letzten Drücker von einem klassischen Konzert in Bonn, hatte keine Zeit sich umzuziehen und stieg noch im Frack auf die Bühne.“

Zum Abschluss des ersten, quasi akustischen Abends spielt Lars Danielsson mit Band. Der renommierte schwedische Jazz-Kontrabassist und -Cellist kam erstmals zum 30. Jazzfestival 2007, war seither aber fast in jedem Jahr dabei. Bereits 1991 gab Mike Stern seinen Einstand in Neuwied und wurde ebenfalls ein treuer Mehrfachgast. Der US-Gitarrist und Fusion-Spezialist eröffnet heuer den zweiten Festivaltag im Heimathaus mit einer Eliteformation, bestehend aus dem Drummer Dave Weckl nebst Saxophonist Bob Malach und Bassist Tom Kennedy. Der Abend bleibt us-amerikanisch: Das Finale bestreiten mit einem Mix aus Funk, Soul and New-Jazz  Marcus Miller & Band. Weil der 64 Jahre alte Multiinstrumentalist und prägende E-Bassist Miller ebenso wie Mike Stern einst in der Band von Miles Davis spielte, träumt Werner Oberender davon, die beiden vielleicht zum gemeinsamen Spiel eines Titels der 1991 verstorbenen Jazzlegende bewegen zu können: „Das wäre ein herrliches i-Tüpfelchen auf dem 40.“

Und weil nun mal rundes Jubiläum ist, gönnen sich die Neuwieder Jazzfreunde als Prolog zum eigentlichen Festival noch zwei ganz besondere Acts. Schon am 13. Oktober gibt es ein Sonderkonzert mit dem norwegischen Pianisten und Schriftsteller Ketil Björnstad im Schloss Engers. Am 27. Oktober kommt Eberhard Weber in die Stadtbibliothek Neuwied. Der 77-Jährige ist einer der einflussreichsten Musiker und integersten Persönlichkeiten der deutschen Jazzszene. Seit einem Schlaganfall 2005 kann er nicht mehr spielen. Später schrieb er eine Autobiografie unter dem Titel „Résumé – Eine deutsche Jazzgeschichte“, aus der er lesen wird. Zu den Weggefährten des einst grandiosen Kontrabassisten gehören neben vielen anderen Größen des Jazz Wolfgang Dauner, Rainer Brüninghaus, Charly Mariano, John Marshal, Pat Metheny, Garry Burton oder Jan Gabarek – die wie Weber selbst alle schon beim Neuwieder Jazzfestival aufgetreten sind.

Überhaupt: Mit 40 Durchgängen in ununterbrochener Folge ist das Neuwieder eines der ältesten Jazzfestivals Deutschlands. Die Auftrittschronik weist fast jeden aus, der in dieser Szene Rang und Namen hat. Neben der ersten Riege deutscher Jazzer auch die internationalen Größen wie Al Di Meola, Bill Evans, Ginger Baker, Lester Bowie, Maceo Parker, Azia Mustafa Zadeh, Rabih Abou-Khalil, Joe Zawinul, Nils Landgren, John McLaughlin, Lester Bowie, Manu Katche, Stanley Clarke …  Hochkarätige Besetzungen allemal, die das Jazzfestival zu einem konstanten Aushängeschild Neuwieds weit über die Stadtgrenzen hinaus gemacht haben. Rund zwei Drittel der Besucher kommen, so Oberender, nicht aus der heimischen Region. Sie haben teils sehr weite Anfahrten hinter sich – die viele von ihnen seit Jahren, etliche seit Jahrzehnten immer wieder auf sich nehmen.

Ja, ein beträchtlicher Teil des Publikums ist mit den Veranstaltern älter geworden. Doch manche kommen inzwischen mit ihren längst erwachsen gewordenen Kindern nach Neuwied. Und: Zwar in kleiner Zahl, aber immer wieder finden auch Jugendliche den Weg zum Festival. Denn was dort auf der Bühne gespielt wird, ist jedesmal aufs Neue frisch, lebendig, interessant, intensiv. Der Jazz lebt.

Andreas Pecht

Info: www.jazzfestival-neuwied.de

Ausstellung mit Fotos von Peter Meurer über "40 Jahre Jazz in Neuwied". 23.10. bis 10.11.2017 in der Sparkasse Neuwied.

Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website 38./39. Woche im September 2017

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