Brennt da Licht am Ende des Tunnels?

Monatskolumne "Quergedanken" Nr. 191

Schreib was Nettes. Mach den Leuten Mut. Verströme Zuversicht und neue Lebensfreude. Sie haben es verdient, die meisten jedenfalls.

Walter zieht etwas unwillig die linke Augenbraue hoch, als er das mir selbst auferlegte  Motto für diesen Text sieht. „Übertreib’s nicht“, grummelt der Freund, „du könntest flott, statt Zuversicht, Leichtfertigkeit fördern. Denk daran: Noch haben zwei Drittel der hiesigen Erwachsenen gar keine Impfung und erst 15% die volle Doppeldosis. Kinder und Jugendliche nicht mitgerechnet. Wir würden uns doch gerne die letzten 10 000 Corona-Toten bis zur Hunderttausender-Marke und jede Menge Long- und Postcoronageschädigte ersparen, die eine vierte Welle wohl mit sich brächte.“

Ja, ja, alles richtig. Und gewiss gibt es auch unendlich viel zu kritisieren, jetzt, im Rückblick auf das Larifari-Seuchenmanagment in deutschen Landen sowie aktuell auf das gleichartige Impfmanagment. Ich (65) bin schließlich selbst betroffen von diesem Glücksspielautomaten, der im Mainzer Gesundheitsministerium anscheinend die Impftermine ausknobelt: Habe mich pünktlich nach dem Aufruf an die 3. Priogruppe korrekt online registriert zur Impfung im für mich zuständigen Zentrum Hachenburg, seither aber keinen Pieps mehr gehört. Gut acht Wochen ist das nun her. Derweil ich getreulich auf Terminzuteilung warte, rauschen auf allen Seiten zuhauf pumperlgesunde Altersgenossen ohne lange Wartezeit mit Pflaster auf’m Arm an mir vorbei; von unzähligen gesunden Jüngeren, die über die Arztschiene geimpft werden, ganz zu schweigen.

Neid? Ach was. Ich bin glücklich über jeden Neugeimpften, denn jeder einzelne senkt das Ansteckungsrisiko aller. Freilich erwarte ich schon, dass die Regierung wenigstens eine halbwegs ordentliche Impfkampagne hinkriegt, in deren Rahmen man auch ohne Trickserei, Mehrfachanmeldung, Beziehungen etc. ganz regulär in vertretbarem Zeitrahmen an eine Impfung kommt, selbst wenn man keinen Hausarzt hat. Vielleicht erklärt mal ein Psychologe der Politik, wie es auf  Millionen Bürger wirkt, die seit Wochen oder Monaten in Wartelisten stehen, wenn auf allen Kanälen fortwährend hauptsächlich über Deregulierung und Aufhebung der Impfordnung pallavert wird. Was soll das ab Juni werden? Ein Massenwettbewerb um die Spritze nach dem heute allfälligen Battle- oder Challange-Prinzip „die Stärksten, Schönsten, Gewieftesten gewinnen“?  

Doch eigentlich wollte ich ja Optimismus verbreiten. Also: Wir dürfen uns glücklich schätzen, ein Wunder mitzuerleben. Die Bundesnotbremse wirkt – obwohl sie gar nicht notbremst, sondern nur einmal mehr kleinen Gewerbetreibenden, Künstlern und Kultureinrichtungen, Gastroszene, Familien, Schülern, Studierenden etc. die Hauptlast der Seuchenbekämpfung aufbürdet. (Ach, was hätten wir uns mit ein oder zwei echten, z.B. auch die Großindustrie einschließenden bundesweiten Lockdowns früher an endlosen Malaisen ersparen können!). Und obwohl auch die Impfkampagne in Deutschland alles andere als ein Ruhmesblatt ist, kommt sie dennoch voran. Sollten nicht Leichtsinn und Irrsinn wieder alles verderben, könnte im Laufe des Sommers Mutter Chaos ein recht gesundes Kind gebären, das sich seines Lebens freuen darf.

Sollte sich indes abzeichnen, dass ich im Herbst der letzte Piecksanwärter sein könnte, bevor das Impfzentrum die Schotten dicht macht – dann kriegt der Mainzer Glückspielautomat einen Gong verpasst, der sich gewaschen hat. 

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