30 Jahre und nur ein kleines bisschen weiser
Marienberger Seminare: Kontinuität in schnelllebiger Zeit
ape. Bad Marienberg. Eine 30 Jahre währende Kontinuität ist schon etwas besonderes in unserer schnelllebigen, kurzatmigen Gegenwart. Zumal es im vorliegenden Fall um eine private Initiative geht, die sich Wissens- und Bildungserwerb, geistige Auseinandersetzung, Denkanregung und Horizonterweiterung für jedermann und -frau auf die Fahnen geschrieben hat.
Als 1987 die „Marienberger Seminare” in kleiner Runde aus der Taufe gehoben wurden, mochte kaum jemand ihnen mehr als einige Monate Lebensdauer zutrauen. Zu weit abseits aller modernen Freizeitmoden erschien die Absicht, ausgerechnet im Umfeld einer ländlichen Kleinstadt wie Bad Marienberg ganz normale Bürger zur intensiven Beschäftigung mit Philosophie, Psychologie, Soziologie, politischer Theorie sowie den Naturwissenschaften oder den Künsten und ihrer Geschichte einzuladen. Doch drei Jahrzehnte später existieren die Marienberger Seminare noch immer. Kommen noch immer im privaten Seminarhaus am Zinnhainer Weg 44 regelmäßig Interessierte aus allen Bevölkerungsschichten mit kundigen Referenten aus akademischen, journalistischen und anderen Feldern zusammen.
Weil der seit 1994 gemeinnützige Verein sich nicht als weltabgeschiedener Elfenbeinturm versteht, hat sich über die drei Jahrzehnte auch manches verändert. Zwar stehen im Zentrum bis heute und weiterhin ganztägige Seminare an den Wochenenden sowie Gesprächskreise an Mittwochabenden. Bei denen können die Referenten speziell gewählte Themen in Ruhe mit Tiefgang ausbreiten und mit einem stets erfreulich erkenntnisbegierigen Publikum besprechen. Doch haben sich die Themenschwerpunkte gegenüber den Anfangsjahren etwas verschoben: Das Interesse an der Durchleuchtung politisch-gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Gegenwartsfragen ist ebenso gestiegen wie der Wunsch nach Beschäftigung mit den Künsten, insbesondere mit Bildender Kunst und Musik. Ebenfalls zugenommen hat über die Jahre das Bedürfnis nach interdisziplinären Seminaren, also nach der Auseinandersetzung mit Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln unterschiedlicher Fachgebiete. Ökonomen und Philosophen etwa sehen die Welt nunmal sehr verschieden.
Mit der Zeit machte sich noch ein weiteres Bedürfnis deutlich bemerkbar: Das nach einer Orientierungskarte in der so weiten Welt der Zivilisations- und Geistesgeschichte. Ergebnis war die Einrichtung der „Akademie der Marienberger Seminare” – eines Sonderprogramms, das in 28 bis 34 Lektionen die Teilnehmer mit grundlegenden Meilensteinen der menschlichen Kulturgeschichte von der Steinzeit bis zum 20. Jahrhundert vertraut macht. Dieses sehr erfolgreiche Element allgemeiner Grundlagenbildung wurde einerseits als Seminarreihe im Zinnhainer Weg aufgelegt, wird andererseits nach wie vor auch als Fernkursus auf Basis von CD-Mitschnitten der Themenvorträge nebst Arbeitsmaterialien angeboten. Dass mit dieser Akademie ein Bildungsinteresse bei breiteren Publikumsschichten getroffen wurde, fand seinen Ausdruck auch in jeweils 40-teiligen Artikelfolgen der Rhein-Zeitung und des Trierischen Volksfreundes mit den Inhalten dieser Marienberger Sonderreihe.
Jüngstes Kind zusätzlich zu den bewährten Programmteilen der Marienberger Seminare ist ein Projekt unter der Überschrift „Rhetorik und Bildung”. Es resultiert nicht zuletzt aus Gesprächen mit Vertretern der örtlichen Wirtschaft. Die sind zwar mit der fachlichen Kompetenz ihrer jüngsten Mitarbeiter zufrieden, bemängeln aber deutliche Defizite in Sachen Allgemeinbildung und beim Auftreten „draußen unter den Leuten”. Können die Marienberger Seminare da helfen, und so vielleicht zugleich ein eigenes Dauerproblem etwas entschärfen: das leider geringe Interesse von jungen Menschen an den Seminaren. Nach fast zwei Jahren Vorbereitung ging „Rhetorik und Bildung” unlängst an den Start. Kleine Anlaufprobleme blieben nicht aus, inzwischen aber sind schon vier Seminar dieser Reihe sehr gut gelaufen. Obendrein konnte ein Arbeitsbuch fertiggestellt werden, mit dessen Hilfe Unternehmen ihre Mitarbeiter auch selbst schulen können.
Inzwischen liegt das Gesamtprogramm des im März startenden 30. Jahrgangs der Marienberger Seminare vor. Es umfasst mehr als 30 Thementage und -abende zu diversen Aspekten des Kultur- und Geisteslebens sowie zu brennenden Fragen der gegenwärtigen Entwicklung von Gesellschaft und Welt. Dazwischen jedoch gibt es im Mai ein Wochenende, an dem einfach gepflegt und mit Kultur das Jubiläum gefeiert wird.
Andreas Pecht
Infos zum Programm 2017
marienberger-seminare.de/