On the road again

Quergedanken Nr. 173

Allmählich bin ich es richtig leid. Je mehr Autos unterwegs sind, umso häufiger muss ich beim Waldspaziergang in den Straßengraben springen. Denn leider gehören zu meiner Hausrunde im Westerwald 300 Meter Landstraße. Alle Nase lang fahren Autos dort so dicht an mir vorbei, dass von „vorbei“ nur die Rede sein kann, wenn ich ins Gestrüpp hüpfe. Leider nimmt auch der Verkehr noch immer zu, obwohl auf 56 Millionen Führerscheininhaber im Land bereits 48 Millionen Autos kommen. Vor 25 Jahren dachte ich, die PKW-Vermehrung würde ein Ende haben, sobald es pro zwei Bürger ein Fahrzeug gibt. Das war ein Irrtum. Es wird wohl keine Ruhe einkehren bis rechnerisch zu jedem Erwachsenen ein Automobil gehört.

Zu Abermillionen PKW gesellen sich drei Millionen hierzulande zugelassene Brummis, die zusammen mit fünf Millionen LKW aus aller Herren Länder Autobahnen verstopfen und an Rastplätzen zum Stellungskrieg auffahren. Weitere 50 % LKW-Zuwachs sind bis 2030 prognostiziert. Wo die fahren sollen, geschweige pausieren, weiß kein Mensch. Doch erfahrungsgemäß folgt dem Wachstumsglück ja bald „verkehrspolitischer Pragmatismus“: Noch mehr Fläche asphaltieren – weg mit Wald und Wiesen.

Zurück zu meinen Sprüngen. Den Städtern zur Kenntnis: Es gibt an besagtem Straßenabschnitt – wie an tausenden Kilometern Landstraße deutschlandweit – weder Geh- noch Radweg. Es gilt dort wie schon zu Ochsenfuhrwerks Zeiten: Das Asphaltband gehört gleichberechtigt allen Verkehrsteilnehmern. Und folgte man der Straßenverkehrsordnung, sollte jeder sein Nutzungsrecht auch angemessen sowie ohne Gefahr für Leib und Leben wahrnehmen können – ob PKW, LKW, ob schwach oder stark motorisierte bzw. mit Muskelkraft betriebene Zweiräder, ob Traktorenfuhrwerk, Pferdegespann oder eben Fußgänger.

Bedauerlich indes: Viele Autofahrer/innen sind offenbar der Ansicht, das Primär-Nutzungsrecht für Landstraßen liege beim Automobil, und das habe ein zwingendes Anrecht auf freie Fahrt. Alle sonstigen Straßennutzer hätten demnach den Autos gefälligst (aus)zu weichen und sich jeweils flott dorthin zu begeben, wo der Pfeffer wächst – also in den Straßengraben zu Brennesseln, Dornenhecken und aus Autofenstern geschmissenem Müll.

„Ihr müsst dem Feind immer ins Auge schauen“, hatte man uns in Kindheitstagen daheim eingebläut. Der Feind, das waren die Autos. Ihnen sollten wir wachsamen Auges stets auf der linken Straßenseite entgegengehen, nie den Rücken zuwenden. Das galt für den halbstündigen Fußweg zur und von der Schule, galt für die Einkaufswege durch den Ort oder hin zu den wilden Spielplätzen. Seit jener Zeit gehe ich auf Landstraßen ohne Trottoir stets ganz links, um zu sehen, was da kommt: Womöglich wieder so ein Idiot, dem meine Unversehrtheit und die Straßenverkehrsordnung scheißegal sind, der partout nicht akzeptieren will, dass bei solchen Straßen Fahrbahnen eben auch Gehbahnen sind.

Werte Automobilisten, die Gesetzeslage ist klar. Wenn auf Landstraßen Fußgänger oder andere langsame Verkehrsteilnehmer am Straßenrand auftauchen und ihr sie wegen Gegenverkehrs nicht in weitem Bogen umfahren könnt: DANN habt ihr zu schleichen oder anzuhalten bis eine gefahrlose Umfahrung möglich ist. Mich, den Fußgänger, zum Rettungssprung in den Graben zu zwingen, ist eine Drecksauerei und kriminell obendrein. Es können die Autos nicht das Maß aller Dinge sein – egal, ob mit Benzin oder elektrisch betrieben.

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