Die Liebe in Zeiten von Corona
Monatskolumne "Quergedanken" 183
Es gibt Leute, die stellt das Corona-Reglement vor ein recht spezielles Problem. Dazu gehören Jugendliche und Singles. Das Problem: Woher in diesen Zeiten die Gelegenheiten nehmen zu jenen Begegnungen, Plaudereien, Spielchen, Tänzchen, derer es bedarf, wechselseitige Sympathien zu entwickeln, die mit der Zeit oder alsbald in leibeslüstlicher, womöglich auch herzentflammter Zweisamkeit enden? Freund Walter könnte von dieser Malaise einen Betroffenenbefund abgeben, würde er nicht von Tag zu Tag unruhiger und miesepetriger um sich selbst tigern.
Walter ist einer jener Zeitgenossen, in deren Lebensentwurf dauerhaft eheänliche Beziehungen nicht vorgesehen sind. Weshalb manche/r Bekannte ihn einen „Hallodri“ nennt. Das halte ich für daneben, denn während seiner Paarbeziehungen ist er durchaus ein treuer, aufmerksamer, hingebungsvoller Gefährte – für drei bis sechs Wochen, bisweilen gar für fünf bis zwölf Monate. Ein idealer Lebensabschnittsgefährte also, sofern man so einen Abschnitt nicht bloß als Vorspiel zum heiligen Lebenslänglich versteht. Mir wird die Eigenart des Freundes oft anstrengend, denn zwangsläufig bewegt er sich in kurzen Abständen stets erneut auf Freiers Füßen; wie zu Seuchenausbruch gerade wieder. Was allemal mit nervigen Gefühlsextremen einhergeht, die mir von Liebeleien noch aus Teenager-Tagen gut, aber zwiespältig in Erinnerung sind.
Hier nun liegt der Hase im Corona-Pfeffer – für die der Zweisamkeit bedürftigen Singles jeden Alters ebenso wie für die von Natur aus ohnehin allweil liebes- und paarungsbegierigen Teens und Twens. Die Clubs geschlossen, die Wirtshaustheken gesperrt, Festivals, Partys, Kirmes, Weinfeste und demnächst womöglich gar die Schunkel- und Bützes-Fastnacht abgesagt. Mithin stehen die meisten der analogen Kennenlern-, Flirt- und Annäherungsräume nicht zur Verfügung.
Seit ich in einem Wissenschaftsartikel las, dass Mangel an liebevollem bis libidinösem Körperkontakt leiblich wie seelisch krank machen kann, verstehe ich, warum Walter inzwischen derart elend ausschaut – und eine Menge junge Leute sich wider besseres Wissen an Abstandsregeln vorbeimogeln. Damit kein Missverständnis aufkommt: Verstehen bedeutet nicht gutheißen. Die schönste Fete nebst Gelage, Schwof, Umärmelung, Händchenhalten, Knutscherei stieße bitter auf, wenn nachher ganze Stadtbezirke stillgelegt werden müssten, gar einige Mitmenschen den Löffel abgäben. Ja, ja, ich weiß: Letztlich bleibt jede Teleflirterei mit oder ohne Cybersex ein Langweiler im Vergleich zum echten Leben. Lasst trotzdem Vorsicht walten!
Nicht nur an Walter kann man dieser Tage einen lustigen Nebeneffekt beobachten: Er raspelt bei jedweder Gelegenheit auf witzig-charmante Art mit maskierten Frauen Süßholz. Bemerkenswert ist, dass selbige im Supermarkt, an der Bushaltestelle oder sonstwo draußen sich vielfach unbekümmerter darauf einlassen als in Präcorona-Zeiten. Maske und Ausnahmezustand machen seltsame Dinge mit so manchem Menschen. Ich glaube, das ist – trotz des Ernstes der Seuche – zwischenmenschlich ähnlich wie im Karneval.
Eben erzählt der Freund durchaus hoffnungsvoll von wiederholten Zufallsbegegnungen mit einer aufgeweckten, humorvollen Frau im Supermarkt. Der Körperkontur nach dürfte sie Anfang 40 sein, meint er. Ihren Augen nach, hat sie auch ein hübsches Gesicht, meint er. Was mag passieren, wenn beide sich erstmals ohne Maske gegenübertreten?