Die bäuerliche Basis des Mittelalters
Rechtlos und ausgebeutet zum Nutznieß der Herrschaft
ape. Vorgestellt sei: Gundald – unfreier Bauer, im späten 9. Jahrhundert ansässig auf der Gemarkung Dienheim im heutigen Landkreis Mainz-Bingen, einer aus jener mehr als 90-prozentigen Mehrheit der mittelalterlichen Bevölkerung. Er war abgabenpflichtig gegenüber seinem Grundherrn, in diesem Fall dem Kloster Prüm in der Eifel. Was Gundald an Produkten und Frondiensten alljährlich zu liefern und zu leisten hatte, ist haarfein festgehalten im Prümer Urbar. Dabei handelt es sich um eine Art Grundbesitz- und Bilanzbuch, das Regino, der Abt des Klosters, anno 893 anlegen ließ. Zweck der Operation: Nach Überfällen auf die Gegend und Verwüstung des Klosters durch Wikinger 882 und 892 wollte er eine Bestandsaufnahme über die klösterlichen Besitztümer, ihren Zustand und die zu erwartenden Einnahmen haben.
Um das Prümer Urbar sowie zwei ähnliche Klosterverzeichnisse – Weißenburger Codex von 860, Lorscher Codex von 1170 – gruppiert sich in der aktuellen Mainzer Mittelalter-Austellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“ eine eigene kleine Abteilung. Diese beleuchtet die Bedeutung „jener Millionen Unfreien, die im mittelalterlichen Europa mit ihrer täglichen Arbeit den materiellen Mehrwert schufen, mittels dessen Adel und Kirche, Bischöfe, Könige und Kaiser ihren Prunk entfalten und ihre Machtspiele treiben konnten“. So fasst der Mittelalterarchäologe Thomas Meier in einem Aufsatz des Begleitbuches zur Ausstellung zusammen, was bei der Historienbetrachtung allzu oft im Schatten der Konzentration auf Herrscher- und Dynastiengeschichte verschwindet.
Was also ist im Prümer Urbar über die Pflichten des unfreien Bauern Gundald gegenüber seinem Grundherrn aufgeführt? Danach hatte er dem Kloster respektive dessen Landvogt vor Ort zu liefern: Zwölf Eimer Wein, zwei Scheffel Roggen, zwei Wagenladungen Heu; dazu im Herbst eine Wagenladung Holz, drei Pfähle für Fischreusen. Zudem bekam der Vogt jährlich zwei Hühner und zehn Eier; obendrein hatte Gundald den Kirchenzehnt zu entrichten. Zu den materiellen Abgaben gesellten sich zahlreiche Dienstpflichten wie Kochern, Brauen, Wache halten, Trauben zur gemeinschaftlichen/herrschaftlichen Kelter zu fahren und im Winter dort für zwei Wochen die Beleuchtung zu stellen. Im Zuge von Transportpflichten für die Herrschaft hatte er 100 Schindeln und drei Wagenladungen Heu ins 60 Kilometer entfernte Altrip zu bringen sowie nach Bedarf Bootstransporte dorthin und nach St. Goar zu leisten.
All dies summierte sich auf bis zu 50 Prozent der Produkte und Arbeitszeit, die Gundald wie die anderen 1700 Bauernstellen in rund 400 zur Grundherrschaft des Klosters Prüm gehörigen Orten abzuführen hatte. Diese Größenordnung kann auch als grober Anhalt für die Abgabenlast unter weltlich-adliger Grundherrschaft angenommen werden. Die Unfreiheit der hörigen Bauern beschränkte sich indes nicht nur auf die wirtschaftliche Ebene. So durften sie weder ihren Aufenthaltsort noch ihre Ehepartner selbst bestimmen, konnten ohne Zustimmung des Grundherrn keine Rechtsgeschäfte abschließen und waren vor Gericht weniger Wert als Freie.
In der Regel nahm der Entrichtungsakt für die Abgaben und/oder die Bekanntmachung ihrer Festlegung ritualisierten Charakter an. In einer überwiegend analphabetischen Gesellschaft strahlte bereits die schriftliche Fixierung von Pflichten per se Autorität und eherne, quasi von Gott gegebene Gültigkeit aus. Denn die Texte waren auf Latein geschrieben und wurden hochoffiziell auch erstmal auf Latein verlesen – also in der Sprache der kirchlichen Sakramentrituale und der Bibel, die ab etwa dem 8. Jahrhundert kein Mensch aus dem einfachen Volke mehr verstand. Dass mancherorts Geistliche die lateinischen Mitteilungen für die Betroffenen in ortsübliche Idiome übersetzten, unterstrich die unabdingbare Gehorsamspflicht gegenüber den von der Herrschaft getroffenen Festlegungen.
Ging die frühere Mittelalterbetrachtung von einem weitgehend statischen, strikt hierarchisierten System der Grundherrschaft aus, so skizzieren jüngere Forschungen ein etwas anderes Bild. Danach existierten örtlich sehr unterschiedliche Formen selbst unfreier Bäuerlichkeit. So gab es etwa neben besitzlosen Bauern auch solche mit etwas eigenem Boden oder bäuerliche Nachbarschaften, die nach Genossenschaftsart wirtschafteten. Archäologische Funde sehr unterschiedlich großer Gehöfte sprechen auch für eine wesentlich stärkere soziale Ausdifferenzierung innerhalb der Masse der Bauern als vordem angenommen. Gleichwohl: Das letzte Wort hatte der Grundherr und an drückender Abgabenlast zur Versorgung der herrschenden Stände kam letztlich kein Bauer vorbei.
Andreas Pecht
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Linkis zu all meinen weiteren Texte aus dem Themenumfeld der Mainzer Ausstellung:
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