Seghers' "Kopflohn" in Mainz zum Bühnenstück verarbeitet
Theater schafft keinen Mehrwehrt zur Romanvorlage
ape. Mainz. Gibt es denn keine echten Theaterstücke mehr? Ein weiterer von unzähligen Versuchen allüberall, Romane bühnentauglich zu machen, beginnt jetzt im Staatstheaters Mainz mit geschwind rückwärts trippelnden Schauspielern. Dazu krachen aus den Lautsprechern Nachrichtenschnipsel: Lampedusa – Wir sind das Volk – Mogadischu – Ich bin ein Berliner – Wollt ihr den totalen Krieg. Famose Idee, Geschichte im Schnellgang zurückzuspulen bis in die frühen 1930er. In jener Zeit spielt Anna Seghers' Roman „Der Kopflohn”, den Dirk Laucke dramatisiert und Hausregisseur K.D. Schmidt inszeniert hat.
Auch in diesem Fall stellt sich die ewig gleiche Frage an Dramatisierungen von Romanen: Kann die Bühnenkunst dem Stoff Blickwinkel, Deutungen, Erkenntnisse hinzufügen oder abringen, die von der Romanform nicht abgedeckt sind? Das nämlich wäre die Forderung ans Theater. Andernfalls erreicht es doch bloß, naturgemäß drastisch verkürzte, illustrative Nacherzählung des Druckwerkes. Genau so verhält es sich mit „Kopflohn” jetzt im Kleinen Haus zu Mainz.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Da wird auf durchaus ansehnliche Weise eine sehr ordentliche Textbearbeitung gespielt. Der zweistündige Abend erzählt in dichter Folge oft paralleler oder miteinander verschränkter Szenen die Story vom armen Proleten Johann Schulz. Der wird steckbrieflich gesucht, weil er bei einer Hungerdemonstration in Leipzig einen Polizisten erstochen haben soll. Gegen hartes Mitarbeiten findet er Unterschlupf in einem rheinhessischen Dorf bei der nicht minder armen Familie von Bauer Bastian.
Wie Seghers' Roman, skizziert auch die Theaterfassung ein Panorama damaliger dörflicher Sozialstruktur voller Reibungen zwischen ganz armen, weniger armen, kleinbürgerlichen und großbäuerischen Bevölkerungsteilen. Dies zu der Zeit, da die alten Mächte Deutschlands aufs neue Hitler-Pferd umsatteln und die ersten Stoßtrupps der Hakenkreuz-Partei beginnen, auch zwischen Reben und Rüben Schäfchen einzusammeln.
Maren Greinkes Bühne bietet dafür eine Landschaft aus zeittypischem Stuben- und Wirtshausmobiliar, Sabine Böing steckt die Protagonisten in dazu passende Kostüme von der zu weiten Arbeiterhose bis zu Stutzeranzug und SA-Uniform. Nacherzählt wird eine Geschichte aus der Geschichte – völlig unbeleckt von den seitherigen Zeitläufen. Will sagen: Nichts wird neu gedeutet, anders interpretiert, auf Gegenwartsrelevanz geprüft. Das ist ziemlich pittoreskes Museumstheater, wie man es sich heutzutage für keinen Shakespeare, Schiller oder Tschechow mehr erlauben dürfte.
Es ist freilich handwerklich gut gemachtes Museumstheater. Raumnutzung, Spielfluss, Licht, Atmosphäre sind stimmig. Martin Herrmann führt als schelmisch-kluger Erzähler durchs Geschehen. Denis Larisch formt einen von Kampf ums täglich Brot gebeugten Bastian. David Schellenberg lässt den Johann Schulz aus der Stumpfheit des erschöpften Flüchtlings heraus- und Zug um Zug zum kommunistischen Widerständler aufwachsen.
Schönste Szenen des Abends: Johann und die von Kristina Gorjanowa fabelhaft frisch, keck, mädchenhaft und fraulich zugleich gespielte Bauerntochter Marie in herzbeglückender Turtelei. Hässlichste Szene des Abends: der Schluss. Die Nazi-Bande fällt über Johann her und das Gros der Dörfler mischt völlig enthemmt mit. Sechsmal beginnt der Exzess aufs neue, wird bei jedem Durchgang brutaler, barbarischer, perverser.
So durchbricht die Inszenierung im letzten Moment ihren musealen Charakter mit dem Gleichnis vom Animalischen, das stets tief in uns lauert, und dem die Nazis zum Durchbruch verholfen haben. Das wird derart dreckig gespielt, wie es nur im modernen Theater möglich ist – und bleibt deshalb ein aufgesetzter, bloß mutwillig wirkender Fremdkörper. Was nun anfangen mit „Kopflohn”? Am besten gleich den Seghers-Roman lesen, denn das Mainzer Theater hat dem wenig Interessantes hinzuzufügen.
Andreas Pecht