Ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Lebkuchen und Marzipan stapeln sich seit Oktober in den Läden. Die Straßenbeleuchtung hat putzige Verstärkung bekommen. Die Dauerbeschallung in den Einkaufsmeilen wurde von kaufbelustigendem Fahrtstuhlpop auf kaufberauschende Herzerweichung durch „Kling-Still-Süß-Kindel-Tann-Glöck“ umgerüstet. Seit auf mittelrheinischen Straßen und Plätzen obendrein Brettlbüdlis wieder das Stück „Anno-dunnemals-Markt“ geben und Schwaden vom Glühwein frohes Hirnwinden versprechen, seither steht fest: Weihnachten ist nicht mehr aufzuhalten.
Es sei denn ...? Es sei denn, der Stifter des Festes selbst geböte dem Treiben Einhalt: Etwa wegen Verstoßes gegen den ursprünglich der Uneigennützigkeit verpflichteten Stiftungszweck. Doch ER wird – wie es in nachbiblischer Zeit seine Gewohnheit geworden – auch in diesem Fall nicht eingreifen wollen. Was sollte ER sich auch mit Leuten herumstreiten, die jeden Gerichtspräsidenten am liebsten kreuzigen würden, der nicht jedes Gerichtszimmer mit Kreuzen behängt. Gebt Gott, was Gottes ist und dem Staat, was des Staates. Sagte wer? Vergessen. Gescheit ist´s trotzdem, denn es hält auseinander, was leichtfertig vermengt nach „Gottesstaat“ klänge und zum schlechten Ende womöglich „Gottesurteile“ fällte.
Hierzulande wird im Namen des Volkes, auf Grundlage irdischer Gesetze und (zumindest zumeist) mit klarem Verstand Recht gesprochen. Gott sei Dank! Würde bitte jemand bei Gelegenheit den kurtrierischen Eiferern folgende Schul-Selbstverständlichkeiten erläutern: Dass es, erstens, in dieser Republik keine Staatsreligion gibt. Dass, zweitens, unsere Kultur gleichermaßen auf griechisch-römischer Antike und Judentum und Christentum und europäischer Aufklärung gründet. Dass, drittens, unsere Justiz unabhängig und sowieso kein Rechtsfolgeorgan der vatikanischen Inquisition ist.
Anderes Weihnachtsthema. Heiligabend fällt heuer auf einen Sonntag. Was die Chance bietet, nochmal einen richtigen Sonntag zu erleben, einen, an dem das ganze Land für ein paar Stunden wirklich zur Ruhe kommt. Oft wird es das nicht mehr geben. Oder glaubt noch jemand an einen Weihnachtsmann, der die letztendliche Einführung der 7-Tage-rund-um-die-Uhr-Geschäftswoche verhindern würde? Der Feierabend ist schon abgeschafft: die Industrien werkeln ununterbrochen, die Einkaufszentren rumoren bis in die Nacht oder gleich die Nacht durch. Das freie Wochenende ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse: Der Samstag bereits Vollarbeitstag, und auch der Sonntag auf dem besten Wege zum 24-Stunden-Werktag. Das soll bald hundsgewöhnliche Normalität sein – ganz ohne Nacht-, Wochenend- und Feiertagszulagen. Sie nennen das Freiheit und Service und Lebensqualität. „Alles Quatsch“, schimpft Walter, „man will uns bloß das Gefühl für Arbeitsruhe und Muße ratzebuzz austreiben. Frag mich jetzt ja nicht nach dem Warum. Selber denken!“
Walter zürnt – über die Blödsinnigkeit im Gang der großen Dinge. Halt Freund, mach nicht so einen Verdruss, schau lieber auf die TuS! Und justament flackert ihm wieder jener seltsame Ausdruck durchs Gesicht, den wir seit der Erfolgsserie der Koblenzer Kicker gegen Köln, Essen und Karlsruhe auf vielen Gesichtern früher ganz bodenständig gewesener Mittelrheiner sehen. Das ist so eine Art aufgesetzter Realismus, hinter dem indes klammheimlich inbrünstiger Hoffnungswahn irrlichtert. Keiner wagt zu sagen, wovon alle träumen: „Es ist zwar völlig ausgeschlossen, aber wir könnten trotzdem – aufsteigen, in die erste Liga.“ Ei, warum nicht? Staatspolitisch zumindest wär´s vernünftig: Wenn jetzt nach den Pfälzer Teufelchen auch noch der 05er Karnevalsverein den Bundesgeist aufgibt, dann muss eben Koblenz die Landesehre retten. Wäre nicht das erste Mal.
Weil Weihnachten ansteht, sei an dieser Stelle noch von einem Wunder gekündet. Sieben europäische Städte (keine deutsche dabei) wollen ihre Verkehrprobleme auf ausgefallenem Wege lösen: Ampeln abschaffen, Verkehrsschilder um 80 Prozent reduzieren. Vorbild ist das holländische Drachten, wo seit drei Jahren nur noch zwei Verkehrsregeln gelten: rechts vor links, und, wer andere behindert, wird abgeschleppt. Bei allen übrigen Verkehrsfragen müssen die 45 000 Drachtener nebst Besuchern selbst zusehen, wie sie am besten miteinander können. „Anarchie! Chaos!“ kreischt es da den ehemals preußischen Mittelrhein rauf und runter. Jawohl, es herrscht Verkehrs-Anarchie in Drachten: Man winkt, blinkt, wedelt, deutet, nickt mit dem Kopf, ruft, klingelt, hupt auch mal. Das Wunder: Der Verkehr fließt und nirgendwo sonst in Europa gingen die Unfälle so stark zurück wie in Drachten. Das könnte einen doch auf Ideen bringen – in Koblenz, Neuwied, Mayen, Bad Ems ….